Titel
Die Isländersagas. Im Dialog mit der Wikingerzeit


Autor(en)
Ólason, Vésteinn
Erschienen
Kiel 2011: Verlag Ludwig
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anita Sauckel, Institut für Nordische Philologie, Ludwig-Maximilians-Universität München

Vésteinn Ólasons Buch „Die Isländersagas. Im Dialog mit der Wikingerzeit“ ist eine deutsche Übersetzung des isländischen Originaltitels „Samræður við söguöld“ aus dem Jahr 1998. Im selben Jahr entstand bereits eine Übertragung ins Englische, die den Titel „Dialogues with the Viking Age. Narration and Representation in the Sagas of Icelanders“ trägt. Anlass für eine solche Neuübertragung, die durch den Isländischen Literaturfond gefördert wurde, war der Auftritt Islands als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse 2011.

Isländersagas sind in altnordischer Sprache verfasste, literarische Prosatexte, die über die Zeit von 870 n.Chr. (Besiedlung Islands) bis circa 1030 n.Chr. über das Geschehen auf Island berichten und hauptsächlich die Schicksale der führenden isländischen Familien im Freistaat verfolgen. Der Zeitraum ab der Gründung der obersten gerichtlichen Instanz, des Allthings, um 930 n.Chr. bis zum Jahr 1030 n.Chr. wird auch als „Sagazeit“ bezeichnet. Das Textkorpus der Isländersagas umfasst ungefähr drei Dutzend Werke, von denen ein Großteil im 13. Jahrhundert entstanden ist. Aufgrund ihres realistisch anmutenden Erzählstils und der langen Genealogien, die oft zu Beginn der Sagahandlung oder bei der Einführung eines neuen Protagonisten aufgeführt werden, wurden diese Sagas lange Zeit als historische Quellen zur isländischen Geschichte des Mittelalters – besonders der Wikingerzeit – betrachtet. Noch im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde die Theorie vertreten, die Isländersagas seien mündlich tradierte, wahrheitsgemäße Berichte aus der isländischen Freistaatzeit, die in unveränderter Form bis zum Zeitpunkt ihrer Verschriftlichung die Jahrhunderte überdauert hätten, und somit als vollwertige, historische Quellen zu betrachten seien. Heutzutage kann ausgeschlossen werden, dass es sich bei den Isländersagas um historische Quellen handelt; dennoch sind sie keine rein fiktive, literarische Gattung des Hoch- und Spätmittelalters, da viele der Sagahelden tatsächlich gelebt haben und auch bekannte historische Ereignisse, wie etwa die Christianisierung Islands, Erwähnung finden. Vonseiten der Forschung wird zudem die Existenz mündlich tradierter Vorstufen der späteren, schriftlichen Isländersagas nicht bezweifelt.

Der renommierte Literaturwissenschaftler Vésteinn Ólason bietet in vier Großkapiteln eine umfassende Einführung in die Welt der Isländersagas, die sich an Leser ohne Vorkenntnisse und Fachleute gleichermaßen richtet. Der Autor legt seiner Darstellung die These zugrunde, die Isländersagas seien in ihrer Gesamtheit Dialoge über den Verlust eines Weltbildes, nämlich das der isländischen Sagazeit. Zudem soll erörtert werden, inwiefern die Sagas mit der Wikingerzeit in Dialog treten, und wie der moderne Leser dieser Texte mit der wikingerzeitlichen Vergangenheit kommuniziert.

Der als „Einleitung“ bezeichnete erste Abschnitt führt den Leser an die Thematik heran, indem er Sonderstellung und Ursprung der Isländersagas sowie deren sozialgeschichtlichen, kulturellen und literarischen Hintergrund erläutert. Anschließend erfolgt eine Analyse von Inhalt und Plot, Erzählstruktur, Erzählakt und Wortschatz. Das dritte Kapitel untersucht die Sagaprotagonisten, die als „Typen und Individuen“ kategorisiert werden, die ideologischen, moralischen und politischen Konzepte innerhalb der Sagas. Im Schlusskapitel widmet sich der Autor der Positionierung der Isländersagas in der Literaturgeschichte sowie deren Bedeutung und Interpretation, bevor abschließend auf die Rezeption Bezug genommen wird.

Für die Neuübersetzung ins Deutsche wurde eine Ergänzung des Literaturverzeichnisses vorgenommen, da der von 1998 stammende Originaltext nicht überarbeitet wurde. Seither neu erschienene Werke zur Sagaforschung wurden im Verzeichnis mit einem * gekennzeichnet. Durch die fehlende Überarbeitung sind bedauerlicherweise 13 Jahre Sagaforschung schlichtweg unberücksichtigt geblieben, weshalb das Buch somit nicht mehr ganz dem neuesten Forschungsstand entspricht. Zudem fehlen selbst in der Erweiterung des Literaturverzeichnisses wichtige, einschlägige Werke, wie z.B. die 2005 erschienene Habilitationsschrift „Eigi einhamr. Beiträge zum Weltbild der Eyrbyggja saga und anderer Isländersagas“ des Kieler Altnordisten Klaus Böldl.1

Stellenweise zu bemängeln ist auch die Qualität der Übersetzung: Formulierungen wirken gelegentlich holprig, der Textfluss ist zäh. Der an und für sich spannende „Dialog mit der Wikingerzeit“ wird dadurch erheblich beeinträchtigt. Außerdem lassen sich formale Fehler, wie zum Beispiel ein Druckfehler in der Überschrift auf Seite 53 finden. Die im Registerteil des Buchs aufgelisteten Seitenzahlen verweisen mehrfach auf die falschen Seiten, so findet man zum Beispiel den Begriff „Íslendingaþættir“ (ebenfalls eine altisländische Literaturgattung) auf keiner der im Register angegebenen fünf Seiten (S. 303).

Insgesamt stellt Vésteinn Ólasons Die Isländersagas. Im Dialog mit der Wikingerzeit eine fundierte literaturwissenschaftliche Einführung in die Welt der Isländersagas dar, die zu Überblickszwecken auch von Fachpublikum genutzt werden kann, und bereits in der englischen und isländischen Auflage als Standardwerk ihren Weg in die Bibliotheken gefunden hat.

Anmerkung:
1 Klaus Böldl, Eigi einhamr. Beiträge zum Weltbild der Eyrbyggja saga und anderer Isländersagas (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 48), Berlin 2005.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch